Produktintegrität

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Überblick

Schlagworte

Produktsicherheit, Produktabweichungen, Produktintegrität, Produkthaftung, Rückrufmanagement, persönliche Haftung, Risikobetrachtung, Produktlebenszyklus, VDA Band, Kundenanforderung….

 

>> Da die Umsetzung des Themas Produktsicherheit und Produktkonformität von den Lieferanten und OEMs unterschiedlich gehandhabt wurde, erfolgt mit dem VDA Band eine entsprechende Harmonisierung

Warum überhaupt dieses Thema:

  • Stetig steigende Rückrufzahlen über alle OEMs hinweg
  • Bedingt durch immer komplexer werdende Bauteile und Komponenten
  • Plattform- bzw. Gleichteil- Strategien = hohe Stückzahlen
  • Kostendruck in der gesamten Lieferkette
  • Sehr kurze Entwicklungszyklen
  • Lieferkettenproblematik - Kosten, Termine, Zuverlässigkeit, Liefersituationen
  • Prozess-/Produktionsprobleme in der Lieferkette verursachen immer wieder Feldmaßnahmen
  • Weltweite Situation - Krieg, Unruhen
  • Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeiter für Produktintegrität vielfach nicht ausgeprägt
  • Sicherheitserwartungen der Kunden steigen - vorbeugenden Rückrufen durch Behörden
  • Gesetzliche Umfänge und Vorschriften nehmen kontinuierlich zu
  • Cybersecurity - Unternehmen können jederzeit Opfer von Cyberattacke werden
  • Seit einigen Jahren existiert die VW Kundenanforderung nach einem PSB - Produktsicherheitsbeauftragten, diese Anforderung wurde ergänzt durch den PSCR - Weitere OEMs folgen diesem Ansatz

IATF Anforderungen:

IATF 16949: 2016 / 4.4.1.1. - Produkt- und Prozesskonformität

IATF 16949: 2016 / 4.4.1.2. - Produktsicherheit

Produktintegrität (PI) = Produktsicherheit & Produktkonformität

Aufgaben der Produktintegrität:

  • Beurteilen von produktsicherheitsrelevanten Einflüssen (Prävention)
  • Bewertung von • produktsicherheitsrelevanten Beanstandungen & Marktbeobachtung (Analyse)
  • Einhalten von gesetzesrelevanten Anforderungen (Prävention)
  • Überwachung der Einhaltung von gesetzesrelevanten Anforderungen (COP)
  • Einleiten von Maßnahmen inkl. Überwachung und Wirksamkeitsnachweis (Serie und Rückrufmanagement)
  • Methoden der Produktsicherheit (z. B. Risikomanagement, Stand der Technik)

Produktsicherheit gemäß § 3 Produktsicherheitsgesetz

Ein Produkt darf nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet.
Auszug aus des deutschen Produktsicherheitsgesetzes. In anderen
Ländern existieren vom Prinzip her ähnliche Regelungen.

Produktkonformität gemäß IATF 16949

Alle bereitgestellten Prozesse, Produkte und Dienstleistungen müssen die jeweils geltenden gesetzlichen und behördlichen Anforderungen des Ausfuhrlandes, des Einfuhrlandes und des vom Kunden genannten Bestimmungslandes erfüllen!
Falls der Kunde für bestimmte Produkte, die gesetzlichen und behördlichen Anforderungen unterliegen, spezielle Überwachungsmaßnahmen festlegt, muss die Organisation sicherstellen, dass diese Überwachung erfolgt und kontinuierlich aufrechterhalten wird - auch bei Lieferanten!

Was ist Stand der Technik?

  • Eine Technikklausel ist ein Verweis in Gesetzen, Vorschriften oder Verträgen, die einen Stand an Erkenntnissen von Wissenschaft und Technik widerspiegeln
    Sie definiert sich unter anderem durch technische Normen (DIN, ECE, TR, …) und wissenschaftliche Veröffentlichungen
    Es gibt im deutschen Sprachraum drei hauptsächliche Stufen:
  • Die anerkannten Regeln der Technik sind die Regeln, die sich praktisch bewährt haben
  • Der Stand der Technik beschreibt technische Möglichkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt
  • Der Stand von Wissenschaft und Technik umfasst die neuesten technischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und ist nicht durch das gegenwärtig Realisierte und Machbare begrenzt.
    >> ECE Richtlinien - Internationale Harmonisierung der technischen Vorschriften für Kraftfahrzeuge - https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/StV/Strassenverkehr/un-ece-regelungen.html

Informationsquellen bezüglich Rückrufe:

  • KBA - Kraftfahrtbundesamt
  • RAPEX - Internationale Datenbank zu Produktrückrufen aller Art
  • NHTSA - betrifft den nordamerikanischen Markt
  • Fachmagazine, Medien rund um das Automobil

Beispielhafte Fragestellungen in den Zulieferbetrieben:

  • Können hierbei einzelne Fragen mit NEIN beantwortet werden, besteht Handlungsbedarf in Ihrem Unternehmen
  • Sie haben selbst Kenntnis über alle das Produkt betreffende rechtliche Rahmenbedingungen und können somit die vollständige Bewertung im Hinblick der Produktsicherheit eigenverantwortlich wahrnehmen
  • Alle notwendigen Fachabteilungen werden an der Lastenheftprüfung um Einschätzung der Machbarkeit eines neuen oder geänderten Produktes beteiligt. Sie werden somit bereits bei vorliegender Anfrage involviert.
  • Ihre Fachabteilungen im Unternehmen prüfen das Lastenheft auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Stand der Technik.
  • In Ihrer FMEA Dokumentation sind alle Merkmale das Produkt betreffend stichhaltig und plausibel dokumentiert. Sie arbeiten nicht mit einer starren RPZ Zahl, die Bewertung ist kein Zufallswerk.
  • Die Fachabteilungen im Projekt haben in Bezug Ihrer zur Beurteilung der Produktsicherheit notwendigen Informationen eine Bringschuld
  • Sie kennen genauestens die unterzeichneten Verträge in Richtung Kunden und Lieferanten.
  • Sie können stets zur fachlichen Beurteilung von Verträgen auf rechtlichen Beistand in Form einer Rechtsabteilung oder externen Anwaltskanzlei zurückgreifen.
  • Sie können alleine alle laufenden Projekte überblicken, denn Sie sind beauftragt.
  • Es finden keine Deckblattbemusterungen oder sonstige Fake Aktionen im Unternehmen statt. Die Aussagen der qualitätsrelevanten Dokumente sind stets belastbar und somit nachweisbar.
  • Ihr Unternehmen hat sich die Mühe gemacht ein Normen- und Gesetzeskataster aufzubauen und kennt die darin enthaltenen Anforderungen. D. h. es gibt formulierte und wirksame Maßnahmen, die eine Einhaltung von Normen und Gesetzen nachweisen.
  • Sie kommen Ihrer Überwachungsverantwortung in Bezug Ihrer Lieferanten nach. D. h. Sie auditieren beispielsweise auch all Ihre Setzteillieferanten.
  • Da Produktsicherheit auch mit ausgehenden Gefahren für das eigene Personal zutun hat, wird auch stets in der Prozessplanung die Fachkraft für Arbeitssicherheit an der Prozess-FMEA um Einschätzung gebeten.
  • Ihr Unternehmen hat keinerlei Besondere oder sicherheitskritische Merkmale versucht in der Vertragsverhandlung auszuklammern
  • All Ihre Fachabteilungen sind ebenfalls in den Rahmenbedingungen für Produktsicherheit und Haftung geschult
  • Die geforderte Selbstaudit bildet die tatsächliche Wirklichkeit ab
  • Sie kennen die Anforderungen der Regelwerke (VW Kundenanforderung: Formel Q, Formel Q Fähigkeit, Formel Q Neuteile Integral und VW 99000)
  • Im Unternehmen herrscht ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, auch Sie werden von Ihrem Vorgesetzten gehört.
  • Die leitenden Angestellten Ihres Unternehmens verfügen über eine D & O Versicherung (Durchführung und Organisation
  • Die schöne QM-Welt auf dem Papier ist die tatsächlich gelebte Praxis
  • Der SOP Termin naht, Sie bemerken, dass Ihr Lieferant nicht alle Punkte aus dem Lastenheft umgesetzt hat, es werden somit auch für durchaus kritische Merkmale keine Sonderfreigaben erteilt.
  • Geplante und umgesetzte Maßnahmen werden stets auf deren Wirksamkeit geprüft.
  • Auch Lieferantenaudits werden konsequent bei all Ihren Lieferanten umgesetzt, sofern nötig wird auch eine C-Bewertung ausgesprochen

Erste Umsetzungsaspekte:

  • Pflichtenübertragung seitens der Geschäftsführung
    • Stellenbeschreibung klären
    • Befugnisse – Ansprechpartner in welchen Fällen
    • Was will das Unternehmen durch PSB erreichen? Klärung GF
    • Schriftliche Benennung PSB / PSCR – gegenzeichnen seitens des Beauftragten
  • Ausschließliche Erfüllung der Kundenanforderung oder konsequente Umsetzung aus Sicht des Unternehmens
  • Beschränkung auf OEM Produkte oder Gesamtumfang?
  • Welche Ressourcen werden dem PSB / PSCR zur Verfügung gestellt?
  • Wer unterstützt den PSB / PSCR – In welche Kommunikation wird PSB / PSCR eingebunden?
  • Wieviele PSB / PSCR, sind alle Standorte erfasst?
  • Absicherung des PSB / PSCR – Versicherung? Welcher Umfang?
  • Findet sich der PSB / PSCR im Organigramm wieder?
  • Umsetzung bei Lieferanten (Lieferantenselbstauskunft, Lieferantenbewertung)
  • OEM Anforderungen in der gesamten Lieferkette weiterreichen und umsetzen
  • Fachkraft für Arbeitssicherheit in Prozess-FMEA einbinden (Schutz eigener Mitarbeiter)
  • Private Aktennotiz über gemeldete Missstände des Unternehmens
  • Rückrufmanagement etabliert? Ansprechpartner für Kunde = PSB / PSCR??
  • Aufgaben von PSB / PSCR eigenverantwortlich wahrnehmen oder Aufgaben deligieren und diese überwachen
  • Unternehmen muss Normen- und Gesetzeskataster anlegen – Anforderungen ableiten und nachverfolgen = Wirksamkeitsbewertung. Auf Aktualität achten!
  • Auditfokus auf Produktsicherheit und Produkthaftung
  • Interne Schulung aller Abteilungsleitungen zum Gesamtthema

Pflichtenübertragung:

Die Geschäftsführung trägt die Gesamtverantwortung für das unternehmerische Handel, kann jedoch einige Aufgaben und Pflichten an entsprechend qualifizierte Mitarbeiter delegieren (Pflichtenübertragung). Die Unternehmensverantwortung kann jedoch nicht delegiert werden.

  • Damit einhergehend wird die Handlungsverantwortung delegiert, d. h., jeder ist für sein Handeln verantwortlich.
  • Der Delegierende ist dennoch verantwortlich, dass die Aufgabe korrekt durchgeführt wird (Aufsichtsverantwortung).

Umsetzung:

  • Die Delegation von Aufgaben und Pflichten muss stets schriftlich erfolgen
  • Klärung, welche Aufgaben delegiert werden sollen
  • Welche Voraussetzungen (Ressourcen, Qualifikation, …) muss der Mitarbeiter zur Umsetzung der Aufgabe erfüllen
  • Qualifikationsnachweise
  • Welche Verantwortung ist mit der Aufgabe verbunden - Risikoabschätzung
  • Wie kann die Umsetzung der Arbeit kontrolliert werden
    • Z. B. Audits, Berichte, …

Produktintegrität im Produktlebenszyklus

  • Unternehmen haben die Verantwortlichkeit für den Produktlebenszyklus einschließlich des dazu erforderlichen kontinuierlichen Risikomanagements zu tragen
  • Der Produktionslebenszyklus erstreckt sich von der Rohstoffgewinnung, über die Entwicklung, die Produktion, die Serie und das erwartete Lebensende des Produkts und die entsprechende Entsorgung
  • Integration weiterer Prüfpunkte bezüglich Produktintegrität (PSCR) in die Reifegradabsicherung Neuteile

Besondere Merkmale

Normforderung im Kontext "Besonderer Merkmale"

  • ISO 9001 / 8.2.2 Bestimmen von Anforderungen für Produkte und Dienstleistungen
  • IATF 16949 / 8.2.3.1.2. Vom Kunden festgelegte besondere Merkmale
  • IATF 16949 / 8.3.3.3 Besondere Merkmale
  • Unterscheidung der Besonderen Merkmale:
    • Besondere Merkmale Sicherheit (BMS)
    • Besondere Merkmale Zulassung (BMZ)
    • Besondere Merkmale Funktion (BMF)

Ermittlung der Produktintegritäts-Schwerpunkte im Unternehmen

Beispiele:

  • Automotive-Produkte mit branchenüblichen Anforderungen und Nicht-Automotive-Produkte
  • Umfangreiche Produktpalette (Halbleiter-Bauelementesortiment)
  • Varianz an Fertigungsstätten (Standorte, Klimabedingungen)
  • Vielfältige Einsatzszenarien (Maschinenelemente wie Schrauben, Lager, Nieten)
  • Design- und Entwicklungsprozesse (Änderung gesetzlicher Regularien, Auslegung von Sicherheitsfaktoren)
  • Die selektierten Umfänge aus Produkt und/oder Prozess sollten in einer PI-Auswahlliste zusammengefasst werden
  • Bei neuen Erkenntnissen/Ereignissen werden die PI-Anforderungen an diese Produkte erneut geprüft, ggf. mit Maßnahmen versehen und das ermittelte Ergebnis dokumentiert
  • Maßnahmenverfolgung / Wirksamkeitsprüfung durchführen und dokumentieren
  • PSCR-Linienbegehung (Line Walks) zur Produktsicherheitsbewertung
  • PI-Prüfungen zur gleichzeitigen Beurteilung von Produktsicherheit und Produktkonformität
  • Produktionsphase, „Conformity of Production“ Konsequenzen bei Nichterfüllung
  • Bei Abweichungen im Werk erfolgt vom PSCR eine Handlungsaufforderung bis hin zur Empfehlung oder Erteilung einer Auslieferungssperre